Folge 11: Music is a Doktor!

Diesen Tag vergesse ich nicht so schnell. Es ist Wochenende und ich habe sturmfrei. Der schweigsame Zimmer-Kumpel ist nicht da. Ich kann mich zwar oberhalb des Bauchnabels kaum bewegen, aber ich fühle mich sauwohl. Es gab sogar ein Gipfeli – weil Wochenende.

Im Handgepäck aus dem Flugi finde ich meine JBL Bluetooth Böxli. Die sind ziemlich leistungsstark. Und auf dem iFon, meinem inzwischen hoch verehrten digitalen Hirn (DH), habe ich immer ein paar GB guten Sound dabei. Für den Notfall.

Wann wenn nicht jetzt? – Es folgt ein beschwingter Nachmittag mit viel guter und lauter Musik, so übermütig, dass ich mich damals sogar via FB bei der Playlist bedankte. Alles altes melancholisches Zeug, aber an diesem Tag genau richtig.

 

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Irgendwann kommt die Praktikantin ins Zimmer, eine junge Französin. Ausnehmend sympathisch. Die wunderbare Shemekia Copeland singt grad «Rivers Invitation», die Pflegerin tänzelt zweimal um die eigene Achse und wir grinsen uns vermutlich ziemlich blöd an. Ein Moment für die Ewigkeit…

Aber hey! Made my day!

 

Inzwischen hat die Arbeit begonnen. Physiotherapie- und Ergotherapie, und vieles mehr.  Ich muss die Arme bewegen, soviel es geht. Und ich muss mit meinen Händen ehemals einfache Dinge neu üben – einen Kugelschreiber führen, ein Handtuch falten, so Sachen halt. Aber davon später mehr.

Nächste Folge:
bald

Folge 10: Eine neue Freundin – Die Zeit

9. April 2016, Rehab Basel

Gang
Zum Rauchen muss ich nur den Gang überqueren. Das tue ich zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Eine echte Tagesstruktur habe ich noch nicht, aber ich arbeite dran. Vorerst dreht das Gehirn im dunkelroten Bereich. Da geht wesentlich mehr ab, als ein zerbeulter Kopf verarbeiten kann.

Ein Beispiel, wie sich wichtige Eckwerte im Leben ganz schnell grundsätzlich verändern können. Nehmen wir die Zeit. Oder besser: Die Zeitachse, auf der wir uns bewegen. Zweifellos ein Grundpfeiler unserer Existenz.

Bisher war die Zeit mein Lebensmotor. Als Reporter und Journalist prägte die Deadline – der Redaktionsschluss – während 30 Jahren meinen Lebensrythmus, meinen Alltag. Die Zeit drängt, sie hetzt, sie spornt an, sie entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg, sie ist eine gnadenlose Treiberin. Und ja, sie ist verantwortlich für jeden Stress und jede Extraanstrengung, die mir der Alltag abverlangte. Ich habe sie oft zum Teufel gewünscht, diese verfluchte Zeit. Immer wenn ich sie am meisten brauchte, war sie nicht da.

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Zauberstühle: Das sind übrigens die Sitzgelegenheiten, von denen ich in Folge 9 geschwärmt habe. Nur hier kann ich bequem verweilen.

Und jetzt? Plötzlich wird die gleiche Zeit zur engsten Verbündeten. Mehr noch: Zu einer intimen Freundin. Sie ist immer da, im Überfluss. Sie heilt. Was ich bis jetzt verstanden habe: Wenn du dich hier drin mit der Zeit anfreundest, wird es dir besser gehen. Der Grund: Die Zeit wird eins und vereinigt sich mit der Hoffnung. Zeit=Hoffnung=Zeit=Hoffnung.

Wir bemühen uns beide – die Zeit ähm die Hoffnung und ich. Und wir werden überraschend schnell zu besten Freunden.

Jetzt bin ich bereit für meinen neuen Alltag.

Nächste Folge:
14. April: Mit 50 lernen den eigenen Namen zu schreiben

Folge 9: Woher kommt diese Freiheit?

7. April 2016, Rehab Basel, Fachklinik für Paraplegiologie und Neurorehabilitation

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Fürs Victory-Zeichen reicht die Kraft noch nicht: Aber für Daumen hoch – trotz diesem verfluchten Kragen. Foto: Stella

Hier liege ich jetzt also. Bis auf weiteres. Die Rehab wird mir später noch sehr ans Herz wachsen. Aus Gründen. Jetzt liege ich einfach da. Sie lassen mich mehr oder weniger in den Tag hinein leben. Ich glaube, mein Körper braucht nur Ruhe. Sehr viel Ruhe.

Der Kragen ist unsäglich. Er drückt ständig auf die Kieferknochen und das ganz dumme: Er verhindert jegliche entspannte Körperhaltung. Insbesondere auf dem Rücken liegen geht auf Dauer nicht. Schön blöd.

Langsam gewöhne ich mich an alles. Die Menschen sind nett und ich fühle mich so seltsam frei. Jawohl, frei! Noch nie fühlte ich eine derart ausgeprägte Freiheit. Vielleicht die Freiheit, keine Entscheidungen treffen zu müssen? Die Freiheit, einfach zu sein? Ich muss ja nicht mal entscheiden, die Zähne zu putzen. Weil ich es gar nicht kann.

Ich gehe vom Bett zum Raucher und wieder zurück. Den ganzen Tag lang. Dann endlich finde ich einen bequemen Sessel. Ich nenne ihn ab sofort «Zauberstuhl», denn ich werde sehr, sehr viele Stunden darin verbringen. Eigentlich sind es Designer-Sessel der Stararchitekten Herzog & DeMeuron, für Patienten völlig ungeeignet, weil viel zu tief. Für meinen gebrochenen Hals sind sie aber perfekt.

Den Kragen darf ich nur nachts gegen einen weicheren austauschen. Aber nicht mal hier kann ich bescheissen, weil ich den Kragen nicht selber wechseln kann. Mit der linken Hand schaffe ich es gerade mal ans Kinn. Der rechte Arm hängt da, wie ein Sack. Ich kann nicht mal eine Flasche Mineralwasser öffnen. Geschweige denn ein Schnitzel zerschneiden, duschen oder …. den Arsch abwischen.

So kam es, dass ich die ersten etwa 10 Tage nichts ass. Fast nichts. Also nichts Festes. Weil ich nicht. Also sie wissen schon…? Das war einerseits dumm von mir. Ich verlor seit dem Unfall 15 Kilo. Andererseits werden wir wegen dieser kleinen Anekdote noch viel zu lachen haben.

Langsam begreife ich vier Dinge:
1. Ich werde sehr bald mit dem Training von Händen und Armen beginnen müssen. «Was bis in einem Jahr nicht heilt, wird bleiben», sagt die Ärztin. Inkomplette Tetraplegie  funktioniert nach dem Motto: «Move it or lose it» – Bewegen oder verlieren.

  1. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann ich problemlos schlafen. Immer. Sobald ich mich hinlege, schlafe ich ein. Mehrmals pro Tag, manchmal sogar im Sitzen. «Hirnschäden können zwei Jahre lang verheilen. Dann bleiben Funktionsstörungen zurück», erklärt die Neurologin.

  2. Meine Rehabilitation hat noch gar nicht begonnen, ich stehe erst am Anfang. Mein Leben erfährt eine wohltuende Entschleunigung. Ich fühle mich frei und mir ist wohl. Jedenfalls im Zauberstuhl

  3. Und ich begreife das hier:

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Nächste Folge:
9. April: Eine neue Freundin – Die Zeit

Folge 8: Rehab Basel – Mein neues Zuhause

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Zur Ruhe kommen und alltägliche Dinge wieder lernen: Es beginnen die langen Monate der Rehabilitation in der Rehab Basel.

Im Laufe des Nachmittags werde ich in Basel angeliefert. Liegend, mit den Beinen voran, schieben sie mich durch die Gänge. Mein roter Rücksack, mein Handgepäck aus dem Flieger, liegt neben mir auf der Bahre. Ich halte ihn so fest ich kann. Es ist im Moment alles was ich habe.

Erstmals denke ich an Chatzalp und meine 8 Katzen. Ich war schon fast drei Monate nicht mehr Zuhause. Mein Neffe Janis schaut zu Haus und Garten. Er tut das bestimmt gut.

Und meine Glückswelle geht weiter. Ich werde direkt neben dem Raucherraum in einem Zweierzimmer untergebracht. Mein Nachbar ist ein junger Paraplegiker aus dem Kanton Freiburg. Er redet während Tagen kein Wort.

Ich sehe erstmals meine Ärztin Dr. Stéphanie Garlepp. Auf meine Frage, wie lange ich den hier bleiben werde meint sie in ihrer unnachahmlich fröhlichen Art: „Sie werden den Sommer mit uns verbringen, Herr Ferraro. Mindestens». Oha, das könnte also dauern.

Mein Hals und meine Brust sind immer noch fixiert. Ich bekomme einen neuen Halskragen, den ich jetzt drei Monate tragen muss. DREI MONATE! Die Bewegungsfreiheit ist Null, auf dem Rücken liegen fast unmöglich. Es ist schwer sich an das Scheissding zu gewöhnen. Wir stehen vom ersten Tag an auf Kriegsfuss.

Die Station vier ist wie eine WG organisiert. Irgendwann trete ich zum ersten Mal an den gedeckten Essenstisch. «Welches ist mein Platz?», frage ich und bekomme lachend zur Antwort, «nehmen Sie einen mit Stuhl». Ich blicke auf und sehe erste jetzt: Es hat zwölf Gedecke und nur zwei Stühle. Alle anderen kommen geholpert, werden gestossen oder begeben sich sonst mit Räder aller Art zu Tische. Es wird nicht viel geredet bei Tisch. Viele haben Schmerzen.

Mir wird vom ersten Tag klar: Ich gehöre hier zu den Privilegierten. Meine ersten Ziele der Physiotherapie ergeben sich schon am Tisch: Die rechte Hand zum Mund führen, ohne Röhrchen trinken, ohne Hilfe Fleisch zerschneiden. Ich werde auch wieder lernen müssen, einen Kugelschreiber zu führen, die Schuhe zu binden und ein Hemd anzuziehen.

Das alles wird dauern. Und dann wird es eine ganze Menge Sachen geben, die ich nie mehr werde tun können. Davon ahne ich jetzt noch nichts. Ich warte noch immer bis das Gefühl in die Arme zurück kommt und ich wieder spüre, was ich anfasse.

Aber ich spüre sofort: Hier werde ich gute Monate verbringen. Es sollte schliesslich auch so kommen.

Nächste Folge:
9. April: Eine neue Freundin – Die Zeit

Folge 7: So fühlt sich der Tod an

1. April 2016, Kantonsspital Baden

17. März 1.35pm
Ohne Licht, ohne Ton, ohne Grenze, ohne Schmerz, ohne nichts: Der Tod begegnete mir am 17. März 2016.

Langsam finde ich mich auf der Raum-Zeit-Achse wieder zurecht. Ich weiss, wer ich bin, wo ich bin. Und ich weiss, dass ein paar Sachen im Körper kaputt sind. Aber wichtiger als alles andere erschient mir in diesem Moment etwas anderes: Mir wird bewusst, dass eine sehr spannende Begegnung hinter mir liegt. Ich habe den Tod gesehen!

Es folgen die ersten zusammenhängenden Gedanken seit langem. #13down – Leser*Innen wissen es längst: Passiert ist es auf einem winzigen Korallenatoll in der Karibik, ein Unfall mit dem Scooter. Erinnern kann ich mich nicht. Auch nicht daran, wer mich gefunden und auf die Nachbarinsel ins Spital geflogen hat.

Dort bin ich drei Tage später erwacht. Die Zeit zwischen Unfall und Spital war nicht unangenehm. Im Gegenteil. Da war einfach ein wohliges nichts. Jetzt kann ich versuchen «es» zu beschreiben.

Es war kein Nahtod-Erlebnis, glaube ich. Es gab keinen Tunnel, kein Licht, keine Stimmen von weit her, kein Leben, das an meinem geistigen Auge vorbeizieht. Und auch sonst nichts Spirituelles. Die Sache ist viel einfacher: Zack, es wird dunkel, Schluss, aus. Ohne Ankündigung, ohne Zeit über irgend etwas nachzudenken, ohne Schmerz. “Fliegenklatsche” nenne ich seither diesen, meinen Wunschtod.

Erst in der Schweiz entdeckten die Ärzte, dass ich Hals und Rücken gebrochen hatte, dazu kamen blutende Risse im Gehirn. Das Rückenmark ist verletzt, aber nicht durchtrennt. Ich bin zwar Tetraplegiker, kann aber alle Glieder bewegen. Da ging es um Zehntelsmilimeter. Ich hatte unendlich viel Glück.

Seit diesem Erlebnis schreckt mich der Tod nicht mehr.

Es ist nicht das einzige in meinem Leben, das sich seit dem Unfall positiv verändert hat. Ich bin entspannter, ruhiger, gelassener geworden. Dazu dankbarer und demütiger. Das Leben hat viel Hektik verloren und Bewusstsein gewonnen. Diese Lebensqualität lasse ich mir nicht mehr nehmen.

Der Tod ist seither so etwas wie ein alter Bekannter. Kein Feind, nein, nein, eher ein treuer Wegbegleiter. Oder was gibt es anderes, das dem Menschen so sicher, so eigen ist, dass es ihm keine Macht der Welt wegnehmen kann?

Geld, Reichtum, Ansehen, Wohlstand, Glück, den Stolz, die Würde, ja selbst das Leben an sich. Das alles können wir jederzeit ganz schnell verlieren. Nicht aber den Tod. Der ist uns so sicher wie das Amen und das Opferkässeli in der Kirche, der ist schon da! Ich habe mich entschieden den Tod zu akzeptieren und Teil meines Lebens sein zu lassen.

In diesem Sinne möge euch der gute alte Ludwig Hirsch ebenso berühren, wie er das bei mir seit Jahren immer wieder tut. Kein Künstler kommt dem näher, was ich zu sehen geglaubt habe. Der Tag wird kommen. Und er wird wunderbar sein….

https://youtu.be/NaiWa7QbRsU

Nächste Folge:
4. April: Rehab Basel – Mein neues Zuhause für den Sommer

Folge 6: Üble Diagnose – aber kein Schock

29. März 2016: Kantonsspital Baden

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Cyborg mit Reissverschluss: Tag 2 nach der OP in Baden. Foto: Stella *

Und wieder: Die Erinnerungen an die Tage im Spital Baden sind durchaus beschwingt. Weiches Erwachen nach der Operation, sanftes Liegen im Bett – immer mit dem Opiat-Knöpfchen in der Hand. Die Bilder in der Erinnerungen lernen wieder Laufen. Ich gehe zum Lift, fahre runter, gehe in den Raucherraum … und rauche. Soviel ich will. Ich trage ein Gestell um Hals und Brust, meine verschraubten Knochen sind gut fixiert.

Im Zimmer sind wir eine sauglatte Truppe: Ein Sozialarbeiter mittleres Kader, Fachgebiet Drogenrehabilitation, langhaarig, Typ Wollpulli und Jesus-Sandalen, mit mehrfachem Beckenbruch – nach einem Sturz beim Skateboarden.

Und ein junger Italo, selbständig im Bereich Autos oder so, ein Händler von irgendwas aus dem Reusstal. Mama bringt ihm täglich Essen ans Bett. Er redet viel und lustig, kann aber nicht aufstehen. Der Wullige und ich kiffen einmal. Woher der Joint kam weiss ich nicht mehr. Es war lustig.

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Mein Operateur Dr. med. Alexander Tapio Mameghani (links) und Dr. med. Martin Jäger leiten das herausragende Team. Foto: KSB

Dr. Alexander Mameghani hat mich operiert. Heute reicht er die Blumen weiter: «Im Hintergrund hat es natürlich die gesamte Notfallstation gebraucht, die so gut reagiert hat und das OPS-Personal, dass mich unterstützt hat», schreibt er auf Nachfrage. Die Narkoseärzte hätten eine anspruchsvolle Narkose durchführen müssen, die deren volle Aufmerksamkeit und grosses Können erforderte. «Und nicht zu vergessen, die Pflege auf der Station, die Physiotherapie».

Akzeptiert: Lassen wir das Kompliment aus berufenerem Munde kommen. «Dr. Mameghani ist eine absolute Koryphäe auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie», wird die leitende Neurologin der Rehab Basel später zu dieser «Schlosser-Arbeit» sagen.

Dann die Diagnose: Ich bereife die gesamte Tragweite noch nicht. Noch immer fühle ich mich wohl, habe kaum Bedürfnisse und keine Fragen. In ein paar Tagen werde ich in eine Reha verlegt. Entweder nach Nottwil oder nach Basel. In ein Fachklinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie auf jeden Fall.

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Die Hauptdiagnosen: Hinzu kommen noch eine gerissene und eine gespaltene Sehne in der rechten Schulter. Aber der gute Superspinatus macht den Braten auch nicht mehr feiss.

Konkret heisst das:

Es wird bleibende Schäden geben. Teilweise gelähmte Arme, Gefühls- und Krafteinschränkungen in Armen und Händen, zum bewegen des Kopfes bleibt noch ein Gelenk – das Genick. Der rechte Oberschenkel bleibt gefühllos – jedoch: Die Beine funktionieren! Gelobt sei Weroderwasimmerdasmacht!

Weitere Leitungen vom Gehirn über das Rückenmark in den Körper hinaus sind beschädigt. Es werden Monate der Therapie und der Rehabilitation folgen. Was langfristig kaputt bleibt, wird sich erst in 1 bis 2 Jahren zeigen.

Die fünf Knochenbrüche im Gesicht lassen optisch unahbhänge Menschen wie ich einfach verwachsen.

Aber da sind noch diese zwei Risse im Gehirn. Genauer gesagt im Frontlager hinter der Stirn. Die kleinen, blutenden Einrisse werden mir noch verdammt viel Ärger machen. Eigentlich mehr als alles andere. Das alles ist mir aber jetzt noch ziemlich Wurst. Ich warte einfach ab, bis ich die Arme wieder bewegen kann.

Darf ich vorstellen: Der DACHSCHADEN aka Hirnfunktionsstörug. Mein digitales Gehirn (DH) oder Faceing Fuckbook ist in diesen Tagen übrigens ohne Inhalt.

2. April: So fühlt sich der Tod an
4. April: Rehab Basel – Mein neues Zuhause für den Sommer

Folge 5: Unter dem Messer

27. März 2016, Kantonsspital Baden, Schlosserei

Zu all den unbekannten Reisedrogen kommt jetzt im Spital eine weitere Narkose dazu. Ihr könnt euch denken was jetzt kommt: Wieder nur zwei Bilder. Dass ich genau heute unter dem Messer liege, erfahre ich erst später.

  1. Die Pflegerin legt mir einen Knopf in die rechte Hand. Die kann ich noch spüren, die andere nicht. Jedesmal, wenn ich den Knopf drücke – so die Pflegerin – fliesse eine kleine Dosis Opiat in meine Venen. «Die Intervalle sind auf 10 Minuten eingestellt. Später vergrössern wir den Abstand», sagt sie. Ich glaube, das haben sie dann vergessen. Ich drückte ständig aufs «Knöpfchen». Und wieder: Ich fühlte mich vollkommen wohl, keine Bedürfnisse, keine Langeweile, kein Zeitgefühl, keine Erinnerung. Schwereloses gleiten im unendlichen Raum-Zeit-Kosmos. Oder so.
  2. Mein Vater steht am Bett. Ich habe ihn viele Jahre nicht mehr gesehen. Ob und was wir reden, weiss ich nicht.

Die komplette Diagnose folgt. Welch unendliches Glück ich habe, kann ich in diesem Moment noch nicht ahnen. Hier kleiner Überblick aus der Badener Schlosserei.

  • Vier zertrümmerte Halswirbel (Foto oben)
  • Zwei zerborstene Rückenwirbel
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    Das hält: Verschraubte Rückenwirbel. Foto: Rehab Basel

Zerquetschtes Rückenmark mit Teilbeschädigung der «Leitungen» vom Gehirn in den Körper hinaus. Ein paar Sachen sind für immer kaputt. Viele funktionieren aber noch. Zum Glück die Beine! Ich habe meine Beine jederzeit gespürt. Irgendwie.

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Tetraplegie inkomplett oder Tetraparese: Wäre diese Stelle durchtrennt, könnte ich (vielleicht) noch die Augen bewegen. Zum Glück ist sie «nur» zerdrückt. Foto: KSB

Und hier noch ein übersichtlicheres Bild.

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Zerdrücktes Rückenmark im Hals. Aber ich kann gehen! Foto: KSB

Die nächsten Folgen:

30. März: Die schlimme Diagnose – Aber wo bleibt der Schock?
02. April: So fühlt sich der Tod an
04. April: Rehab Basel – Mein neues Zuhause für den bevorstehenden Sommer

Folge 4: Die Heimreise

24. März 2016: Tortola EIS –> St. Maarten SMX –> Paris CDG –> Zürich ZRH –> Baden KSB

Das muss ein langer Tag gewesen sein. Und trotzdem: Noch immer fehlt die Erinnerung, ich weiss nichts von Unwohlsein oder gar Schmerzen. Wieder bleiben nur zwei Bilder:

  1. Irgendwann steckt Stella * meinen Kopf in eine Art hufeisenförmiges Kissen. Danach ist mir noch wohler. Stella ist ausgebildete Krankenpflegerin.
  2. Flughafen Zürich: Ich erkenne meinen alten Freund Kurt Neeser vom gleichnamigen Rettungsdienst aus meiner Heimat Wohlen AG. Mein Schwager ist schon für ihn gefahren, Stella hat früher die Funkzentrale an Wochenenden betreut. Wir stehen neben einer seiner Ambulanzen, die Tür ist hoffen. Ich freue mich und sage: «Hoi Kurt!». Dann versuche ich ihm die Hand zu schütteln. Obwohl meine Arme gelähmt sind. Heute kann sich Kurt nicht mehr erinnern, ob wir uns tatsächlich die Hand gegeben habe und wie das ging. «Es war ein bisschen hektisch», sagt er heute.
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Das erste bekannte Gesicht: Kurt Neeser hat mich am Flughafen abgeholt und sofort in den Notfall Baden gebracht.

Wer an diesem Tag tatsächlich die Hölle erlebte war Stella, nicht ich. Beim Anblick unseres Freundes Kurt beim Flugzeug haben sie die Kräfte verlassen – sie brach noch am Flughafen zusammen. Eine grosse Last muss ihr von den Schultern gefallen sein.

Das alles erfahre ich erst viel später. Sie hat auch diese Papier hier organisiert, damit man uns tatsächlich hat gehen lassen. Der Spital bestätigt: «Der Mann ist fit, kann um die halbe Welt fliegen, sollte aber sicherheitshalber zuhause noch einen Arzt zu Nachkontrolle aufsuchen». Und tschüss…!

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Erst nach Erhalt dieses Papiers akzeptierte meine Unfallversicherung unseren selbstständigen Heimflug. Stella hat alles organisiert.

Die erste Etappe bis St. Maarten musste ich alleine in einem 20-plätzigen Lufttaxi meistern. Erst dort konnten wir zusammen denselben Air France Jumbo nach Paris besteigen.

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24. Feb. Hinflug: Schoggiplatz direkt hinter dem Chauffeur.

Um euch einen Eindruck zu verschaffen von dieser ansonsten traumhaften Reise, habe ich euch ein Video vom Hinweg gebastelt. Vom Rückweg gibt es nichts.

Für mich endete der Tag in der Notaufnahme des Kantonspitals Baden, Stella war später auch wieder auf den Beinen und liess die Welt das hier wissen:

Stella dankt

Liebe Stella, ich habe Dir zu danken…für mein zweites Leben!

  • 27. März: Unter dem Messer
  • 30. März: Schlimme Diagnose: Aber wo bleibt der Schock?
  • 04. April: Rehab Basel – Mein neues Zuhause für die nächsten 6 Monate